Der ALCA in Suedamerika

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arnego2
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Der ALCA in Suedamerika

Beitrag: # 3945Beitrag arnego2 »

Dieser Artikel wurde von http://www.oeku-buero.de/index.html
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Die Linke macht sich Stark?
Mtro. Alberto Arroyo Picard Forscher UAM-I RMALC

Der Artikel 1 wurde – mit geringfügigen Kürzungen und einigen erläuternden Anmerkungen – von der Alianza Social Continental (ASC) übernommen. Er wurde von der ASC im Mai 2005 veröffentlicht. Die ASC ist ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen des gesamten amerikanischen Kontinents, die sich im Kampf gegen ALCA zusammengefunden haben.


Einleitung

Auf dem 1. Gipfel der Amerikas 1994 in Miami (mit den Präsidenten und Staatschefs des gesamten amerikanischen Kontinents mit Ausnahme Kubas) wurde beschlossen, bis 2005 eine gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA zu schaffen. ALCA ist der ehrgeizigste Plan der USA, sich eine Erdhalbkugel nach ihrem Geschmack und zum Nutzen ihrer Interessen und vor allem dem Interesse ihrer Großunternehmen zu schaffen. Wir, die Völker feiern, dass heute, im April 2005, ALCA noch nicht besteht. Aber ALCA und vor allem die Bestrebungen der Wirtschaftsmacht USA sind nicht gestorben. Der Prozess ist ins Stocken geraten. In diesem Artikel werden wir nur vordergründig vom Stand der ALCA-Verhandlungen sprechen, wir wollen vielmehr eine breitere Perspektive darstellen: Stand und Herausforderungen des sozialen Kampfes gegen das neoliberale Modell oder gegen den Freihandel. (…)


Schlüsselstellen des ALCA-Prozesses

Die politische Entscheidung, ALCA auszuhandeln, wird auf dem 1. Gipfel der Amerikas im Dezember 1994 in Miami getroffen. Fast zehn Jahre später ist es symbolischerweise wieder in Miami, im November 2003, als die USA einsehen müssen, dass ihre ursprünglichen Bestrebungen im Augenblick mit den 34 Ländern des Kontinentes nicht zu verwirklichen sind, und sie hinnehmen müssen, darüber zu verhandeln, was in der Presse ALCA Light genannt worden ist und was offiziell mit „gemeinsame Gruppe von Rechten und Pflichten, die für alle Länder gelten“ bezeichnet wird. Das Treffen der Vizeminister, das im Februar 2004 in Puebla, Mexiko, stattfinden sollte, wird beauftragt, als Richtlinien für die technischen Arbeitsgruppen Grundvereinbarungen und Verhandlungsmodalitäten auszuhandeln, damit bis zum Januar 2005 Vertragstexte entstehen, einerseits für eine „Minimal ALCA“, verbindlich für alle 34 Länder, andererseits für eine „vertiefte“ ALCA für die Länder, die sich entschließen, ein zusätzliches Liberalisierungsniveau auszuhandeln. Das Treffen in Puebla gerät in Verzug, weil der Minimalkonsens nicht erreicht werden kann. Mit den Ländern, die sich widersetzen, finden verschiedene Treffen statt. Auch Brasilien und die USA, die gemeinsam den Vorsitz haben, treffen sich, aber es gelingt ihnen nicht, Vereinbarungen auszuhandeln. Seit mehr als einem Jahr sind die Verhandlungen jetzt ausgesetzt. Man kann aber den Prozess auch nicht erklären, ohne sich darüber klar zu werden, dass folgendes gilt:


Der Triumph über ALCA ist nur teilweise und vorübergehend

Die Tatsache, dass ALCA 2005 nicht in Kraft getreten ist, ist sicherlich ein Triumph, der sich aus verschiedenen Faktoren erklärt. Auf der einen Seite hat sich die Gesellschaft organisiert und übt Druck aus. 1997 hat man in Bello Horizonte, Brasilien, entschieden, aus allen Bereichen der Bevölkerung kontinentweit eine soziale Allianz zu bilden. Auf der anderen Seite spiegelt das Geschehen den politischen Wandel in einigen Ländern des Kontinents wieder, den Triumph neuer Regierungen, die sich auf einen starken Rückhalt in der Bevölkerung stützen können. Zuerst in Venezuela, dann in Brasilien und Argentinien, und kürzlich in Uruguay. Beide Faktoren stehen im Zusammenhang. Der Triumph der Regierenden, die der Hegemonie des US-Imperiums widerstehen oder sich davon distanzieren, lässt sich nicht erklären ohne den Aufstieg der sozialen Bewegungen in diesen Ländern. Das Aussetzen der ALCA-Verhandlungen spiegelt einen bezeichnenden Wandel im weltweiten Kräfteverhältnis wider. Um das wirkliche Ausmaß dieses Triumphes richtig beurteilen zu können, muss man verstehen, dass gegen die Freihandelsverträge zu kämpfen nichts anders bedeutet, als verhindern, dass sich das neoliberale Modell in ein übernationales Gesetz, eine Art supranationale Verfassung, verwandelt, welches die Möglichkeiten der Nationalstaaten, Wirtschaftsstrategien und nationale Entwicklungsprojekte voranzutreiben, übermäßig einschränkt. Die Freihandelsverträge versuchen das neoliberale Modell zu konsolidieren, denn sie sind eine Art Versicherung gegen demokratischen Wandel. Mit den Freihandelsverträgen ist, egal wer regiert, die wirtschaftliche Orientierung zementiert, und der Versuch, sie zu ändern, führt zu Auseinandersetzungen und internationalen Sanktionen. Freihandelsverträge verhindern heißt nur, die Entscheidungen auf nationaler Ebene belassen. Indes bedeutet es in der Mehrzahl unserer Länder nicht die Überwindung des Neoliberalismus, da ja die Regierungen aus freiem Willen neoliberal sind. Für den wirtschaftlichen Wandel hin zu einer Strategie einer Einkommensverteilung, die alle Menschenrechte garantiert (wirtschaftliche, soziale, im Bereich der Arbeit, der Umwelt, der MigrantInnen, der Frauen und der indigenen Völker), ist die Niederlage der Freihandelsverträge nur ein unverzichtbarer Schritt, der interne Wandel fehlt noch.


Der Kampf gegen das Freihandelsmodell im Augenblick

Andererseits bedeutet die Tatsache, dass ALCA ausgesetzt ist, nicht, dass die Regierung der USA und vor allem die großen transnationalen Konzerne auf ihre Bestrebungen verzichtet hätten. Die ALCA-Schlappe hat dazu geführt, dass eine Art Plan B ausgeführt wurde. Einerseits suchen die Großmächte in der Welthandelsorganisation WTO nach Vereinbarungen, die einige Zugeständnisse erlauben würden, besonders im Bereich der Agrarsubventionen, um damit die Themen zu entschärfen, die zum Engpass bei ALCA geführt haben. Auf diesem Gebiet sehen die Dinge für das Imperium nicht einfach aus, weil das Verhältnis der Kräfte auf multilateraler bzw. globaler Ebene noch widriger ist, denn die unterentwickelten Länder haben sich in Blöcken organisiert, z. B. die Gruppe der 20, der einige der größten Wirtschaften der unterentwickelten Welt angehören: China, Indien, Südafrika und Brasilien, was zum Desaster der letzten Ministerrunde der WTO im September 2003 in Cancún führte und zur nächsten Schlacht im Dezember dieses Jahres in Hong Kong führen wird. Auf der anderen Seite haben die USA bilaterale und regionale Verhandlungen auf dem amerikanischen Kontinent begonnen. Sie versuchen zu spalten, indem sie mit den Regierungen der abhängigsten Länder verhandeln und diejenige isolieren, die sich widersetzen.


Zentralamerika

(…) Alberto Arroyos Ausführungen zu Zentralamerika sind hier nicht wiedergegeben, da sie inzwischen überholt sind. Zu den neuesten Entwicklungen in Zentralamerika verweisen wir auf den Artikel „Geschacher in den Parlamenten, CAFTA-DR – ein Zwischenbericht“.


Andenstaaten

Die USA sind dabei, mit einigen der Andenstaaten einen Freihandelsvertrag auszuhandeln, und zwar mit Peru, Kolumbien und Ecuador. Zum Beginn schritten die Verhandlungen ohne Widerstand der Regierung voran. Indes, die Dinge haben sich auch hier geändert. Neuerdings behindern die Themen Landwirtschaft und Geistiges Eigentum die Vereinbarungen, und die vorgenommenen Zeitrahmen werden sich nicht einhalten lassen. Im Gebiet der Andenstaaten wächst die soziale Bewegung, die sich gegen Freihandelsverträge wendet. Bolivien erlebt eine Art politischen Volksaufstand gegen die Privatisierung seiner natürlichen Ressourcen, besonders des Wassers und des Erdgas. Das Gesetz über die Vergabe von Konzessionen für die Ausbeutung von Erdgas wurde zurückgezogen. Präsident Mesa gelang es nicht, das neue Gesetz zu verabschieden. Es war zwar abgeschwächt worden, ließ aber Privatisierung immer noch zu. Die Wasserprivatisierung in Cochabamba wurde zurückgenommen, und die Regierung Mesa wurde gezwungen, den Vertrag mit einem transnationalen Konzern in Los Altos zu annullieren. Diese Situation hat verhindert, dass die Regierung Mesa an den Verhandlungen zum Freihandelsvertrag mit den Andenstaaten teilnimmt. In Kolumbien hat sich ein sehr bedeutender Zusammenschluss aller sozialen Bewegungen gebildet, das so genannte Kolumbianische Netz gegen ALCA und Freihandelsverträge (RECALCA), das einige Triumphe feiern konnte, was eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Ungunsten der Regierung Uribe anzeigt. Beispiele dafür sind der überzeugende Misserfolg der Regierung kürzlich in einem nationalen Referendum zu den Plänen Uribes und bei einer Befragung zum Freihandelsvertrag, die sich an die indigene Völker richtete. In Ecuador macht die Regierung Gutiérrez eine Krise der Regierungsunfähigkeit durch, die vielleicht sogar zu ihrem Sturz führen kann. In Peru gibt es keine Triumphe oder ähnlich spektakuläre Situationen, aber das Fehlen der Legitimität und die Schwäche der Regierung Toledo ist offensichtlich. Die sozialen Bewegungen haben wichtige Fortschritte erreicht und Einigkeit erzielt. Sie haben ein erfolgreiches Referendum zum Freihandelsvertrag durchgeführt. Ein wichtiger Fortschritt im Andenraum ist die internationale Einheit der Bewegung. Es wird aber auch um Einfluss in dieser Region gestritten, denn der MERCOSUR betreibt eine aggressive Politik, die Andenstaaten zu dem Block hinüber zu ziehen, der der US-Hegemonie widersteht. Venezuela verbindet sich immer stärker mit Brasilien und allgemein mit dem MERCOSUR. Die Südamerikanische Staatengemeinschaft 2 hat ihre ersten Schritte gemacht.


Nordamerika (Kanada, USA und Mexiko)

Dies ist der Teil Amerikas, der am stärksten von den USA beherrscht und abhängig ist. Der Vertrag über die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) ist elf Jahre in Kraft. Statt die sozialen Kosten des Vertrages und das Scheitern seiner Ziele anzuerkennen, sind die Regierungen dabei, eine Art NAFTA Plus 3 auszuhandeln. Kürzlich, beim Gipfel der „drei Freunde“ Bush, Paul Martin und Vicente Fox, erfolgte ein weiterer Schritt in diese Richtung. Die Gespräche drehen sich um Angelegenheiten der US-Sicherheit, aber auch um einen Energieverbund, einen gemeinsamen Markt (d. h. um einen gemeinsamen Zoll gegenüber Dritten) und um eine gemeinsame Politik in dem Bereich der Makroökonomie. Wieder einmal soll der Bereich Nordamerika der erste Fall einer noch viel stärkeren „Unterordnungs-Integration“ werden, wie schon vor elf Jahren mit NAFTA. Aber NAFTA Plus ist eine riesige und entscheidende Herausforderung, die nicht nur die direkt Beteiligten betrifft.


Als Schluss

Die Verhandlungen zu ALCA stocken, aber das Projekt, das neoliberale Modell legal zu verankern, wird auf verschiedenen Wegen weiter verfolgt. Es gibt verschiedene Bühnen, auf denen der Streit stattfindet. Schließlich muss man sich dessen bewusst sein, dass dieses hegemoniale Projekt nicht nur von der Regierung und den transnationalen Konzernen der USA betrieben wird, sondern auch von Europa, welches dabei ist, mit dem MERCOSUR ein Freihandelsabkommen auszuhandeln und die Absicht geäußert hat, dies auch in anderen Regionen anzustreben. Für uns Mexikaner öffnet sich ein folgenschweres Kampffeld gegen das, was NAFTA Plus bzw. die „Nordamerikanische Gemeinschaft“ genannt wird. Das Kräfteverhältnis verändert sich bei der Suche nach Alternativen. Allgemein können wir sagen: die Zahl der Globalisierungskritiker wächst, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Im Süden des Kontinentes sind Regierungen aufgetaucht, die gegenüber dem hegemonialen imperialen Projekt Widerstand leisten. Die Existenz dieser Regierungen und die Risse in den Regierungen, die offen neoliberal sind, führen zu Widersprüchen zwischen den Regierungen selbst. Dies wiederum stellt den Kampf der Globalisierungskritiker für eine andere Welt in einen neuen Kontext. Die Integrationsvereinbarungen und -projekte zwischen Ländern im Süden des Kontinentes (Stärkung des MERCOSUR, Abkommen zwischen MERCOSUR und der Andengemeinschaft, Südamerikanische Staatengemeinschaft usw.) spiegeln einen Wechsel im Kräfteverhältnis wider. Es sind Vorschläge, die man gründlich analysieren und bewerten muss, zumal sie nicht notwendigerweise mit den Vorschlägen der sozialen Bewegung übereinstimmen, aber es lässt sich nicht leugnen, dass sie das Kräfteverhältnis ändern. Ich bin der Meinung, dass man die neue Situation so ausdrücken kann: das Imperium, insbesondere die USA, überzeugt nicht mehr, kann nicht mehr überzeugen, aber hat immer noch eine riesige Fähigkeit, sich durchzusetzen. Wir haben mit dem praktisch vorherrschenden Denken gebrochen, wir werden den ideologischen Kampf gewinnen. In den Bereichen Einigkeit und Internationalisierung hat es bei der sozialen Bewegung Qualitätssprünge vorwärts gegeben, aber der Kampf ist lang und schwer. Für die Mexikaner ist es dringend erforderlich, eine starke soziale Bewegung aufzubauen und unsere Einheit mit den Organisationen in den USA und Kanada und allgemein mit der Kontinentalen Sozialen Allianz (Alianza Social Continental) zu stärken, um dem neuen Frontalangriff der US-Interessen entgegenzutreten, der darauf abzielt, die „Unterordnungs-Integration“ in Nordamerika zu vertiefen. Das ist ein Kampf, den wir alleine nicht gewinnen können.


Anmerkungen:

1
http://www.asc-hsa.org/article.php3?id_article=274

2 Südamerikanische Staatengemeinschaft ist die Bezeichnung des am 8. Dezember 2004 erfolgten Zusammenschlusses aller unabhängigen südamerikanischen Staaten. Die zwölf Mitgliedstaaten sind die Mitglieder des Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) und der Andengemeinschaft (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela). Dazu kommen noch die bisher nicht gebundenen Staaten Chile, Guyana und Surinam. Das Hauptziel der Gemeinschaft ist es, bis 2025 eine der EU vergleichbare Integration zu erreichen.

3 Am 23. März 2005 haben die Präsidenten der USA, Mexikos und Kanadas bei ihrem Treffen in Waco, Texas, beschlossen, die “Alianza para la Seguridad y la Prosperidad de América del Norte” (ASPAN) bzw. die „Security and Prosperity Partnership of North America“ (SPP) in die Wege zu leiten. Das sind die offiziellen Namen dessen, was kurz und zutreffend mit NAFTA Plus bezeichnet wird. Ziel ist es, den Nordamerikanischen Freihandelsvertrag weiter zu entwickeln, wobei der Sicherheitsaspekt anscheinend zentrale Bedeutung hat.




(Mtro. Alberto Arroyo Picard, Übersetzung: Eberhard Albrecht)
Veränderungen im Kräfteverhältnis beim Kampf gegen den Freihandel
Erschienen in: Info-Blatt 67 des Ökumenischen Büros
München, November 2005

Mal sehen ob es zu einer Diskussion kommt :wink:
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