Wo ist man daheim?

Das Caféhaus - äh Stüberl - für alle Ausgewanderten, damit man den Kontakt nicht verliert, oder so...

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Siggi!
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Wo ist man daheim?

Beitrag: # 23843Beitrag Siggi! »

Hallo,

Gestern war eine Bekannte hier zu Besuch. Sie ist vor 2 Jahren nach Deutschland ausgewandert und freute sich wieder in ihrer Heimat zu sein: Hier sind alle ihre Freunde, ihre Verwandten, ihre ehemaligen Kollegen, jeden Tag rufen Freunde an und schicken Blumen, der Ex-Chef will sie wieder haben, etc. Zwar hat sie auch einige wenige Freunde in Deutschland, aber das ist nichts gegen die alte Heimat.

Ich kam dann ein wenig ins Überlegen: In diesem Sinne habe ich wohl gar keine Heimat! Vielleicht liegt das auch daran, dass ich mit 16 das erste Mal umgezogen bin, ein paar Jahre späten dann nach Bayern, 3 Mal innerhalb von Bayern, vor ein paar Jahren in die Ukraine und hier haben wir auch 2 Wohnorte. So einen Platz, wie den von der Bekannten beschriebenen, gibt es für mich nirgendwo. Lockere Bindungen zu einigen alten Freunden und genau 3 Verwandte gibt es zwar noch, aber verstreut über ganz Deutschland.

Wie empfinden das die anderen Auswanderer?

Gruß
Siggi
Zuletzt geändert von Siggi! am Mi Jul 09, 2008 6:12 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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Gigi
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Beitrag: # 23845Beitrag Gigi »

Das ist bei uns fast genauso wie bei euch ( klingt irgendwie "krumm :P )

Ich bin mit 17 ausgezogen, erst Siegburg, dann Köln, dann Hamburg, Celle, Wien und zurück ins Rheinland, und da dann auch 5 mal umgezogen.
Freunde habe ich noch 2 aus meiner Schulzeit, das hat gehalten- egal wo man sich gerade aufhält, so ist das Wiedersehen immer wieder spannend.
Aus unserem letzten Wohnort in Deutschland haben wir noch guten Kontakt zu einer Familie, im Herbst treffen wir uns in Norddeutschland auf halbem Weg :wink:
Alles andere waren immer nur Bekanntschaften, wobei ich eine Vertiefung zur Freundschaft auch nie angestrebt habe.
Verwandtentreffen gab´s bei uns schon immer nur 1mal im Jahr, da kommen dann alle zusammen. Den einzigen Menschen, den ich mit Heimat verbinde ist meine Schwester, allerdings ist das irgendwie nicht ortsgebunden. Da sie außerdem ohne Kinder viel flexibler ist als wir, kann sie uns manchmal besuchen. Und ansonsten gibt es ja noch das Internet...

Ich habe die ersten Monate immer darauf gewartet, dass sich so etwas wie Heimweh vielleicht einstellt, aber nichts dergleichen ist passiert.
An manche Orte erinnert man sich gern, manche eher nicht ( Celle :roll: )
aber nie mit Wehmut. Allerdings stellte ich neulich nach mehrtägiger Abwesenheit von zu Hause ( Dänemark ) fest, dasss ich es vermisse.
Vielleicht ist das ja so eine Art "neues" Heimatgefühl, falls es das gibt.
Mal abwarten :)

Gruß

Gigi
pierre
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ubi bene - ibi patria

Beitrag: # 23849Beitrag pierre »

... ihr seid ja schon frueh in der Kneipe heute.. -
aber das gilt jetzt ja auch fuer mich !
Hallo und Prost also ..
der Titel meines Beitrages stammt so oder aehnlich von Cicero, und mir geht es wie euch und ihm;
deshalb meine Frage an euch beide: gibt es den Begriff auf daenisch, ukrainisch oder russisch ?- ich glaube nicht - auf english oder franzoesisch spanisch und persisch existiert er auch nicht.
Liegt hier also ein Verstaendnisproblem vor ?
oder hat siggi's Bekannte es nur nicht geschafft, in anderer Umgebung Wurzeln zu schlagen...?
Selbst wenn wir uns in unserer Umgebung wohl fuehlen, und darauf kommt es ja an, werden wir uns (meist/hoffentlich) erinnern, wo wir herkommen, denn sonst haetten wir keine Orientierungsmoeglichkeit, wo wir hingehen/-treiben.
@ siggi
(bin mal schnell bei wiki encyclopedia gewesen)
du must wohl sowas wie Heimat fuer dich selbst kennen, sonst wuerdest du die Beschreibung deiner Bekannten nicht so benennen;
Ich meine, dass Schwierigkeiten der (Neu)-Bindung oder des Loslassens
mit derartigen "Heimat"-Gefuehlen kompensiert werden.
Halten wir's also mit Cicero !...
oder Goethe: "schoen ist es auch anderswo, denn hier bin ich sowieso !"

Es ist Zeit fuer einen guten Wein....

- Pierre -

... wherever he laid down his head was his home ...
sirtaki
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Beitrag: # 23870Beitrag sirtaki »

hm.. gute frage.

ich bin daheim, wo ich mich mit mann und hund wohlfühle und wo ich in frieden leben kann.
die perspektiven ändern sich im laufe eines lebens. wir haben lange auf unserem schiff gelebt und damit das gesamte mittelmeer durchkreuzt, nun ist das womo viel interessanter. ich weiss nicht, was noch kommt, nur dass ich NICHT wieder in D leben möchte, das weiss ich.

und je mehr chaos ringsum ausbricht, umso sicherer bin ich auch, NICHT mehr landfest zu werden. also entweder weiterhin das schiff und das womo oder nur das womo.

und am ehesten "daheim" fühle ich mich immer noch (auch nach 15 jahren...) in südeuropa, einfach weil alles relaxter läuft.. vom wetter mal ganz abgesehen... :D

zu freunden und familie in D besteht nach wie vor der kontakt per email und das genügt mir.
lasst euch nicht entmutigen
sirtaki
DK-Ursel
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Beitrag: # 24017Beitrag DK-Ursel »

Hej allesammen!

Immer wieder eine interessante Diskussion.
und ich vermisse eigentlich die Begriffsbestimmung:
Heimat - Zuhause - ... was ist das?

Ich bin nach vielen Umzügen inzwischen der Meinung, daß ich meine Heimat verloren habe.

Ich habe mein Zuhause hier, wo ich in erster Linie meine Lieben, meine Familie habe.
Und meine Wurzeln habe ich deutlich spürbar in Dtld. - ohne daß ich da an eine bestimmte Landschaft, Region denke.

Das zu vereinen ist manchmal schon schwer genug, aber diese Trennung macht mir unmöglich, meine Heimat hier zu finden.
Es fehlt zuviel aus Kindheit, an Umgebung, die mir irgendwie "durch Muttermilch" vertraut ist, an gemeinsamer Vergangenheit mit den Menschen, mit denen ich jetzt lebe --- und damit meine ich nicht, daß ich in Dtld. Sandkastenfreunde vermisse, sondern daß eben alle Deutschen irgendwo eine bestimmte gemeinsame Vergangenheit, Geschichte, Kultur haben - so wie alle Dänen, Engländer, Franzosen etc. auch.
Und die fehlt mir hier natürlich, die gehört zu meinen Wurzeln wie meine ganz persönliche Kindheit auch.

Damit muß man leben können, leben lernen, wenn man in einem fremden Land lebt - und genau deshalb sehe ich es auch nicht nur als Umzug an, wenn jemand in ein anderes Land auswandert.

Gruß Ursel, DK
Zuletzt geändert von DK-Ursel am Sa Jul 19, 2008 5:26 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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Siggi!
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Beitrag: # 24018Beitrag Siggi! »

Ich bin nach vielen Umzügen inzwischen der Meinung, daß ich meine Heimat verloren habe.
Das kann ich nachvollziehen, das geht mir genauso.

Gruß
Siggi
spassmusssein
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Seltsamerweise gibbes auch...

Beitrag: # 24022Beitrag spassmusssein »

...Spätberufene, so scheint es mir.
Ich war Fernreisen früher stets abhold, ehe ich mit ca. 40 Jahren und ohne einen Ton spanisch zu verstehen, gar intonieren zu können, erstmals "fern" wech in Venezuela herumsegelte...die Küste entlang.
Das Land war für mich, sozunennbar "Einstiegsdroge" eines völlig neuen Gefühles, dessen was mir Lebensqualität definiert...
Nach einigen Wirrungen (Cuba, Panama, Chanta Domingo) entdeckte ich letztlich hier in Argentina erstmals DAS Gefühl von "Heimat" oder "a casa", welches mir in Deutschland wohl ausserhalb der nativen Zwangsbindung völlig abhanden gekommen war.
Ursprünglich war mein "Suchen" im Süden eher firmenexpansiv motiviert, dass ich letztlich meinen Lebensmittelpunkt vollkommen hierher verlagerte, erstaunt mich oftmals selbst in der Reflektion. Jedoch fand ich eine nie gekannte Heimat hier. Vielleicht zu ergänzen, dass ich "familienbefreit" lebe (vulgo meine einzigen familiären Reminiszenzen betreffen ein Familiengrab, welches meines nicht sein wird, meine "Erdmöbel" werde ich seinerzeit in Argentina "bewohnen")
Während diverser "Rückreisen in mein "ex-Land" Deutschland erlebte ich zwei Dinge stets intensiv: absolutes "Heimweh"-Gefühl nach Argentina und die seltsame Verlangsamung der Gedankenströme lieber Freunde in Deutschland bei vielen, endlosen und freudvollen Diskussionen.
Offenbar denkt, reagiert und argumentiert man weit schneller, wenn man gewohnt ist, sich täglich zwischen verschiedenen Sprachen zu lavieren.
Einige Uraltkontakte aus Deutschland hinterliessen nach Kontaktaufnahme stets die Erfahrung, die Vergangenheit als solche ruhen zu lassen. Menschen die früher gerne meinen Weg begleiteten, verstehen mich heute schwerlich in Deutschland, einigen bin ich zu "latino" geworden...zu sehr im Moment geniessend, an- und aussprechend und zweifelsohne auch macho-isiert...
Heimat ist mir, und dies werde ich stets danken, Argentinien und vorallerst Buenos Aires geworden. Nie fühlte ich mich so heimisch, glücklich, verstanden, geschätzt und geliebt wie in dieser verrückten Metropole.
Ob ich jemals wieder nach "D" einfliege...wer weiss...meine wichtigen Freunde aus "D" besuchen mich hier frequent und zumeist haben sie beim Abflug ein paar Tränchen in den Augenwinkeln.
Buenos Aires verlässt man ungern - es ist einem sehr schnell "Heimat" geworden.
Well, my son, life is like a beanstalk...isn´t it (Gary Brooker)
pierre
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Re: Seltsamerweise gibbes auch...

Beitrag: # 24031Beitrag pierre »

... offen gebliebene Fragen;
z. B:
Jedoch fand ich eine nie gekannte Heimat hier.
( die Antwort bleibt also offen .., oder ??)

Insgesamt ist dein Beitrag aber bestimmt ein "Kruegerle" wert...
macht er denn denn auch jedem "Aus-Gewanderten " warm ums Herz...- egal wo auf dieser Erde er lebt oder sich gerade befindet ( back to topic)

Offenbar denkt, reagiert und argumentiert man weit schneller, wenn man gewohnt ist, sich täglich zwischen verschiedenen Sprachen zu lavieren.
wohl wahr ....gleiches Adrenalin-Potenzial erlebt man , wenn man mit 250/70 km/h in die Tankstelle abbiegt...
.. haelt geistig sehr beweglich !!!

- Pierre -


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Oryx
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Beitrag: # 24037Beitrag Oryx »

Vielleicht, weil ich aus einer Vertriebenenfamilie stamme, habe ich das Gefühl, nie eine Heimat gehabt zu haben. Die Heimat, die meine Familie 400 Jahre in Ostpreußen hatte, wurde ihr unter schrecklichstem Leiden für meine Familie einfach weggenommen, und eine neue hat meine Familie nie gefunden, nur einen Ort, wo man lebt. Die Wurzeln wurden ausgerissen, und ich bin ständig auf der Suche nach etwas, das die alte "kalte" Heimat ersetzen könnte (in der ich nie war).

In Namibia hatte ich, als ich das erste Mal aus dem Flugzeug stieg, das Gefühl, "zu Hause" zu sein, ich habe keine Ahnung, warum. Es hat schon viel mit den Menschen zu tun. Hier habe ich nette Menschen gefunden, die nicht immer jammern (wie die meisten in Deutschland) und mit denen ich mich wohlfühle, und die ständig scheinende Sonne tut ein übriges. Zudem ist hier alles so "laid back", daß man ohne Hektik und Stress leben kann. Ich glaube, Südamerika wäre mir, zumindest in den großen Städten, zu stressig, aber für einen Urlaub sicherlich interessant. Wohingegen Namibia alles bietet, was ich mir wünsche.
Ich glaube, ich könnte nie wieder in Deutschland leben, weil ich mich den Menschen dort weniger nahe fühle als denen hier in Namibia.

Gruß
Oryx
DK-Ursel
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Beitrag: # 24042Beitrag DK-Ursel »

Hej Oryx!

Iich stamme auch aus einer Vertiebenen-/Flüchtlingsfamilie und bin daher nie so hautnah mit dem Rheinländischen aufgewachsen, daß ich mich darin heimischfühlen könnte.
tatsächlich liegt mir die hanseatische Zurückhaltung, die ich in meinem jetzigen dt. "Standbein" Hamburg finde, weitaus mehr als das launische Karnevalstemperament.

Denn och fühle ich DK nicht als Heimat, sondern "nur" als Zuhause.
Mich vebrindet zu wenig Gescihchte - private und "öffentliche" mit den Menschen hier, als daß ich mich sozusagen als ein Teil von ihnen fühlen könnte.
Auch die Sprache trennt mich noch - obwohl ich fließend Dänisch spreche, ist es eben nicht meine MUTTERsprache.
Und komme ich nach Dtld., so spüre ich dort diese Gemeinsamkeit, dafür aber doch eine Entwicklung, der ich ja auch nicht mehr angehöre.

So pendele ich eben zwei Welten, aber das bedeutet nicht zwangsläufig Zerissenheit und Unglück! :wink:
Es ist auch eine Erweiterung des Horizonts, eine größere Gelassenheit manchem Kleinkram gegenüber und die Einsicht,daß viele Dinge ganz verschieden gemacht gut (!) werden können - jetzt auch mal auf völkertypische Dinge bezogen.

Für mich ist es eh nie wichtig gewesen, eine Heimat zu haben - ich kenne meine Wurzeln, zu denen bekenne ich mich auch.
und ich habe mein Zuhause - was will ich mehr?

Was mir auch so in diesem Zusammenhang einfällt --- wer ein starkes Heimatgefühl hat, leidet vielleicht auch mehr an Heimweh und Trennungsschmerz?
Wurzeln kann man nie verlieren; sein Zuhause kann man überall finden, wo man sich wohlfühlt und liebe Menschen hat.
Lediglich Heimat kann man doch wirklich verlieren - wer sie nie hatte, ist der nun eigentlich glücklicher oder unglücklicher dran als Auswanderer oder überhaupt als Mensch?

Das Wort zum Sonntag - Ursel, DK
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