Ken Iso hat geschrieben:Ich bin gerade in einer Ausbildung zum Fachinformatiker Fachrichtung Systemintegration (Netzwerke und so Zeug, notfalls auch Anwendungsentwicklung) und mache momentan die Prüfung, da ich 1/2 Jahre Verkürzung bekommen habe. Meine Noten liegen irgendwo bei 1,x. Mein Arbeitgeber möchte mich übernehmen und ich habe noch ein zusätzliches, interessantes Angebot bekommen.
Trotzdem sehe ich darin kein erfülltes Leben. Ich bin in der Industrie im Maschinenservice tätig, d. h. dass ich Maschinen, die aus PC-Technischen Gründen nicht mehr laufen Zeitnah wieder in Schuss bringen muss. Die Arbeit und die Kollegen sind in Ordnung, die Kunden, Chefs und Arbeitsbedingungen aber eine Katastrophe. Ich habe Angst, in wenigen Jahren ausgebrannt zu sein.
Hm.
Alle warnen Dich, daß im Ausland auch nicht gerade paradisische Zustände herraschen.
Aber Du arbeitest in der IT-Branche. Und da gelten in D etwas andere Gesetze. Eher so in Richtung Sklaverei.
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie Deine derzeitige Situation ist, aber ich vermute einmal, daß es Dir so geht wie mir in meinen letzten 10 Jahren.
Ich hatte bis Anfang diesen Jahres als Diplominformatiker in D gearbeitet, und ich kann ein Lied davon singen, wie die Arbeitsbedingungen und wie die Umgangsformen in D sind.
Von 2001-2006 war ich in einem mittelständischen Betrieb, der von über 70 auf unter 20 Beschäftigte abbaute (nicht auf einen Schlag, immer in kleinen Schritten).
Die beiden Chefs waren OK, die Kollegen ebenfalls, der Ton untereinander gut, aber die Arbeitszeiten....
Wochenendarbeit war völlig normal (ich habe fast jedes Wochenende wenigstens einen Arbeitstag gehabt, der NICHT bezahlt oder abgefeiert werden konnte), Überstunden wurden nicht bezahlt und 2770 Euro (Brutto) pro Monat sind auch nicht gerade mein Traumgehalt gewesen.
Und ich brannte auch aus.
Wurde krank.
Habe mich dann mehrfach trotz Krankheit in die Firma geschleppt und Überstunden gebuckelt.
Der Höhepunkt war, das ich am letzten Tag, bevor ich einen Arzt aufsuchte, eine Besprechung hatte, sämtliche Teilnehmer ansteckte und danach für 3 1/2 Wochen krankgeschrieben war (krank = meine Ärztin schickte mich erst einmal in eine Klinik, um eine Röntgenaufnahme zu machen und sicherzustellen, dass ich keine Lungenentzündung habe).
2007/2008 hatte ich dann in einer Firma gearbeitet, bei der die Kollegen wieder alle fantastisch waren, die Arbeitszeiten waren auch OK, aber bei der die Firma die Angestellten aber wie den letzten Dreck behandelte.
Nach dem Motto: Abteilungsleiter verspricht zweimal hintereinander einen Bonus, der mit dem Februargehalt ausgezahlt wird, und dann kommt in der 2. Februarhälfte plötzlich die Ankündigung, daß der Bonus doch nicht ausgezahlt wird. Und das wird nicht vom Abteilungsleiter verkündet, sondern der Projektleiter darf diese frohe Kunde überbringen.
Dieser wurde wenige Tage vorher ziemlich überraschend zum Projektleiter befördert.
Keine Begründung.
Anschließend wunderte sich die Firma, daß mehrere Leute kündigten. Gleichzeitig war aber klar, dass das Projekt unterbesetzt war und sowieso neue Mitarbeiter hätten eingestellt werden müssen....
Seit Juni arbeite ich in den USA. Ich habe zunächst einmal einen Kulturschock bekommen.
Bisher hatte ich nur einmal Wochenendarbeit, einen Vormittag, und der wurde mir auch bezahlt. Die Arbeitszeiten sind WESENTLICH kürzer - in der Regel (fast immer) geht man nach weniger als 10 Stunden nach hause.
Kein Jugendwahn wie in D - ich habe Kollegen, die definitiv über 60 sind.
Und mein AG bietet Weiterbildungen an. Irgendwie habe ich den Verdacht, dass das Flugzeug bei der Landung in New York abstürzte, ich seit Mai im Koma liege und träume.....
Mein Ratschlag an Dich:
Hol Dir in D die bestmöglichste Ausbildung (also bringe Deine jetzige Ausbildung zu Ende), dann besorge Dir noch ein oder zwei Jahre Berufserfahrung, und anschließend kannst Du Dich in UK und Irland bewerben (war meine Strategie, bis ich dann die Gewinnbenachrichtigung von der GC-Lotterie bekam).
Das Dein derzeitiger AG Dich übernehmen will, ist eine gute Nachricht. Eine sehr gute sogar. Damit kannst Du dann im Lebenslauf immer erklären, dass Du eine Ausbildung gemacht hast und Dein AG mit Dir zufrieden war - sonst hätte er Dich ja nicht übernommen, oder?
Selbst wenn Du schon nach einem halben Jahr etwas im Ausland finden solltest, wären diese paar Monate in Deinam Lebenslauf Gold wert.
Und dann kannst Du Dich aus ungekündigter Stelle heraus in UK/Irland umsehen. Oder Versuchen, ein Visum für ein anderes Englischsprachiges Land zu finden.
In diesem Zusammenhang würde ich Dir die GC-Lotterie dringenst empfehlen. Hier in den USA kannst jede Gegend bekommen, die Du willst. Von Wüstenlandschaft bis Arktisch ist alles im Angebot.
Und der Umgangstonn ist wesentlich freundlicher. Und die Leute sind hilfsbereiter. Ich hatte nach weniger als einem Monat einen Autounfall, mein Wagen war ein Totalschaden, und was passierte? Es fing damit an, daß die Polizei mich nach Hause fuhr (wäre sonst ein mehrstündiger Fussmarsch geworden), mein AG einen Carpool für mich organisierte und mich am Ende ein Kollege darauf hinwies, dass ein anderer Kollege seinen alten Wagen verkaufen will (der Wagen ist zwar OK, aber er hatte inzwischen einen neuen...).
Also, falls Du an dem gleichen Punkt sein solltest wie ich vor ca. 2 Jahren (mehr als 60 Stunden Arbeit pro Woche, gleichzeitig Interviews im Fernsehen, in dem ein schlechter qualifizierter Arbeiter im öffentlichen Dienst darüber mekert, daß er mehr bekommt als Du kriegst und jetzt statt 38 1/2 komplette 40 Stunden pro Woche arbeiten soll - ich wundere mich immer noch, dass ich damals den Fernseher nicht aus dem Fenster geworfen habe

), dann ist Auswandern die richtige Lösung.
Du kannst eine Stelle mit weniger als 50 Stunden pro Woche kriegen, hast die Wochenenden frei, darfst von Deinem Geld mehr behalten als in D,.....usw.
Was Du derzeit an Deinem Job nicht magst, ist wahrscheinlich nicht der Job an sich (sonst wärst Du wohl kaum so erfolgreich in der Ausbildung), sondern nur die Bedingungen, unter denen Du arbeiten musst.
Ich war in der gleichen Situation. Ich konnte mir in D nicht vorstellen, bis 67 in der IT Branche zu bleiben. (Mal ganz abgesehen davon, daß man in D bereits ab 40 aufwärts ein schwer zu vermittelnder Greis ist).
Hier habe ich keine Probleme, mir vorzustellen, noch ein Vierteljahrhundert in der IT Branche zu bleiben.
Viel Glück,
Roland